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Abspeckblogger - Gemeinsam stark

Freitag, 25. Januar 2013

Aufmerksamkeit

Wenn man übergewichtig ist, ist einem eines ganz gewiss: Aufmerksamkeit.

Das wurde mir spätestens mit 12 bewusst, als ich mit meiner Familie während eines USA-Trips Graceland, Elvis' Anwesen, besichtigte. Während wir für irgendeine Sehenswürdigkeit anstanden packte meine Mutter ihren Fotoapparat aus und knipste nicht etwa putzige Eichhörnchen oder protzige Oldtimer - nein, sie fotografierte eine adipöse Dame, die ein paar Meter von uns entfernt stand.
Ich wäre vor Scham gerne im Erdboden versunken und fand das Verhalten meiner Mutter total gemein und daneben.
Für sie war die Frau eine von vielen amerikanischen Attraktionen.

Später traf's dann mich. Ich war ein molliger Teenager, kein bisschen cool und musste mir ab der 7. Klasse Hohn und Spott der anderen Kinder gefallen lassen.
Das ging so weit, dass ich in der 8. Klasse so oft wie nur möglich schwänzte, jede Menge Stoff verpasste und meine Eltern mir irgendwann die Hölle heiß machten.
Irgendwie hab ich's bis zur 10. Klasse ausgehalten und bin anschließend mit 16 und der mittleren Reife in der Tasche ins Berufsleben gestartet.

Das gefiel mir schon besser. Die Leute waren scheinbar freundlicher zu mir und ich wurde nicht mehr gemobbt. In Form von Engagement und Leistung konnte ich mir eine Menge Anerkennung erarbeiten.

Allerdings lernte ich bald eine neue Form der Aufmerksamkeit kennen: Ungebetene Hilfeleistung.
Als dicker Mensch scheint man bei manchen - meist schlanken Personen ohne Diät-Erfahrung - eine Art "Mutter Theresa Komplex" auszulösen.
Da wird man plötzlich mit Ernährungsweisheiten und Tipps zugeschüttet und es werden Diäten empfohlen, mit denen die Schwester einer Freundin des Bruders der Mutter toll abgenommen hat.
Durch BCM habe ich mich gequält, weil es mir von einer Friseurin empfohlen wurde, zu Metabolic Balance bin ich durch eine Ärztin (die eine Patientin hatte, die damit gut abgenommen hat) gekommen.
Fast hätte ich eine Mitgliedschaft in einem Fitness-Studio abgeschlossen, nur weil ich von einer Ex-Kollegin dazu genötigt wurde.
Ich weiß gar nicht, wie oft ich Worte wie: "Mensch, du musst das (Abnehmen) doch schaffen! Ich helf dir auch dabei!" schon gehört habe.

Es ist ja prinzipiell ganz nett, dass Personen, die einem eigentlich gar nicht nahe stehen, sich so um einen bemühen. Aber sie mischen sich in Dinge ein, die sie schlicht und ergreifend nichts angehen.

Ich habe mich bei sowas dann immer total schlecht gefühlt. Wie schlimm muss ich eigentlich sein oder aussehen, dass man sich um mich kümmern will, sich für mich verantwortlich fühlt?
Bin ich ein schlechter Mensch, nur weil ich dick bin? Muss ich mich unbedingt verändern? Was haben die anderen eigentlich davon?
In solchen Momenten kam ich mir fast schon behindert vor - und auch ein wenig entmündigt, nicht ernst genommen.

Es ist, als ob man einer reproduktiv beeinträchtigen Frau mit starkem Kinderwunsch immer und immer wieder erzählen würde, auf welche Art und Weise sie schwanger werden kann - obwohl sie schon alles probiert hat.
Irgendwann, nach Jahren erfolgloser Diäten, tut es einfach nur weh, sich diese blöden Ratschläge anhören zu müssen.

2 Kommentare:

Naja, starkes Übergewicht ist nun mal ein krankhafter Zustand des Körpers.
Schon mal auf die Idee gekommen, dass viele Menschen vielleicht auch einfach Mitgefühl haben und helfen möchten??

Wenn sie missgünstig wären und einem was schlechtes gönnen, würden sie ja wohl keine Ratschläge verteilen oder Hilfe anbieten.

Denke nicht, dass das was damit zu tun hat, dass Dicke unerträglich sind. Das ist doch Quatsch. Wenn das Ego so denkt und sich ohne Grund angegriffen fühlt, kommen hier einfach die Minderwertigkeitskomplexe hoch.

Huhu Lotti,
na, ich sag ja: Es ist ja prinzipiell nett und ich unterstelle keinem Menschen Boshaftigkeit.
Ich persönlich habe Ratschläge oft genug angenommen.
Aber: Ich habe nie darum gebeten. Woher wissen Menschen eigentlich, wann jemand Hilfe braucht? Und welche Form der Hilfe ist dann wirklich angebracht? Vielleicht ist es manchmal für übergewichtige Menschen einfacher, wenn man sie akzeptiert wie sie sind und sie nicht schon wieder daran erinnert, dass sie etwas ändern müssen.
Denn ganz ehrlich: jeder Adipöse weiß genau, was er seinem Körper antut und welche Spätfolgen lauern.
Und da können 1000 liebe Ratschläge von schlanken Mitmenschen kommen - das bringt alles nur wenig, wenn man seinen eigenen Weg nicht findet. Und der beginnt meistens nicht mit der x-ten Diät sondern auf psychologischer Ebene (Was Schlanke oft komplett vergessen - nicht weil sie böse sind, sondern weil sie nie in der Situation waren).

Bei mir hat das oft den Druck gesteigert - was nicht selten zu noch stärkeren Essanfällen geführt hat.
Und natürlich ist es eine Sache des Selbstwertgefühls. Aber ist nicht genau das häufig der Knackpunkt bei Übergewichtigen? Ist der Speck nicht oft ein Panzer, um einen verletzlichen Kern zu schützen?

Letztlich ist jeder für sich selbst verantwortlich.
Und ich wäre vermutlich nicht mit 11 in die Diätenspirale geraten, wenn mir meine Familie nicht ständig mit dem Thema gekommen wäre - und auch die haben es nur gut gemeint.

Und: Ich spreche hier immer nur für mich und über meine persönlichen Erfahrungen und Ansichten. Ich erkläre keines meiner Worte als allgemeingültig oder einzige Wahrheit.

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